"Fit machen und in Arbeit vermitteln"
Über einen irreführenden Sprachgebrauch in Jobcentern
Eine durchaus ergiebige, aber eher selten verwendete Methode externer Berater ist die Sprachanalyse. Dabei werden bestimmte Wendungen und Weisen, die Gesprächspartner in den Jobcentern nutzen, auf ihren Bedeutungsgehalt untersucht. Ein gutes Beispiel dafür ist ein Satz der Art „Wir machen die Arbeitslosen fit für den Arbeitsmarkt". Schon vor 15 Jahren sträubten sich mir die Nackenhaare, aber die Wendung wird noch immer gern genutzt, von Fall-Managern, Job-Center-Leitern oder auch Politikern. Auch die Aussage „Wir vermitteln Arbeitslose in Arbeit" ist nicht frei von Fallstricken.Sage ich, dass ich jemanden fit für den Arbeitsmarkt mache, dann übernehme ich Verantwor-tung. Und zwar für etwas, für das ich keine Verantwortung übernehmen kann. Eine Aussage wie „Ich lasse mich fit machen" würde zu Recht bei den Meisten von uns ein Stirnrunzeln bewirken, wenn wir nicht gerade an Doping denken. Allgemein wird unter „fit machen" ein aktiver Prozess verstanden. Wenn ich fit für einen Marathonlauf werden will, dann muss ich sehr viel dafür tun. Eine andere Person kann mich dabei unterstützen. Sie kann mich antreiben und mich damit konfrontieren, dass ich den Trainingsplan nicht einhalte. Sie kann mir Tipps für die Ernährung geben und mir vielleicht sogar eine gute Mucki-Bude nennen und wenn sie mir diese bezahlt, noch besser. Aber all das entlässt mich nicht aus meiner Verantwortung, regelmäßig, intensiv und gezielt zu trainieren, mich selbst fit zu machen. Behaupte ich also, ich würde jemanden fit für einen Marathon-Lauf machen, sage ich definitiv etwas Falsches. Ich kann bestenfalls einen unterstützenden Beitrag zu seinem Fitnessprozess leisten – nicht mehr und nicht weniger.
„Wir machen jemanden fit für den Arbeitsmarkt" ist aber nicht nur eine falsche Aussage. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit versteckt sich dahinter zudem eine asymmetrische, patriarchal anmutende und bevormundende Haltung von mir zum Anderen. In den Beratungssituationen wird es dann schwer, dem Bürger glaubwürdig auf gleicher Augenhöhe zu begegnen. Selbst dann, wenn ich mich bewusst um eine kundenorientierte Beratung bemühe. Es ist nicht verwunderlich, dass sich auf der anderen Seite dann nur in Ausnahmefällen eine ko-produktive und eigenverantwortliche Haltung zeigt. Nachvollziehbar sind Reaktionen wie Rückzug, Widerstand oder Pro-Forma-Erfüllung der Fitnessangebote. Kurz – es wird das Gegenteil vom Intendierten erreicht. Wenn der verantwortliche Fitnessmacher als letztes Mittel – aus Hilflosigkeit – dann noch das Sanktionsschwert zieht, sind endgültig aus den guten Vorsätzen der Aussage „Wir machen fit..." die Steine geworden, die den Weg zur Arbeitsaufnahme zusätzlich erschweren.
Wie sieht es nun mit der noch gebräuchlicheren Wendung „Wir vermitteln Arbeitslose in Arbeit" aus? So plausibel diese Aussage auf den ersten Blick wirkt, so irreführend ist auch diese. Betrachten wir die analoge Aussage „Wir vermitteln Wohnungssuchende in Wohnungen". Diese Aussage müsste für Immobilienmakler gelten, aber kein Makler würde einen solchen Satz zur Beschreibung seiner Tätigkeit je nutzen. Denn mit dieser Aussage würde einen seiner Auftraggeber (den Wohnungsbesitzer) mit dessen Angebot (Wohnung) verwechseln.
Aus der Sicht des Wohnungsbesitzers wäre die Verwechslung an sich nicht problematisch, wenn denn die richtigen Wohnungsbewerber kämen. Dies geschieht aber unter einem solchen Berufsverständnis nur zufällig, denn der Wohnungsmakler sucht die Bewerber ja eben nicht für den Wohnungsbesitzer aus, sondern für dessen Wohnung. Dass nun der Wohnungssuchende und die Wohnung zusammen passen, sollte vorausgesetzt werden, ist aber noch nicht einmal eine notwendige Bedingung dafür, dass der Suchende die Wohnung erhält. Allein hinreichend ist, dass der Wohnungsbesitzer dem Wohnungssuchenden seine Wohnung anvertrauen will! Ein Makler, der in Wohnungen vermittelt und nicht Wohnungssuchende und -besitzer zusammenbringt, dürfte bald kaum noch Wohnungen in seinem Portfolio haben.
Nach dem Beispiel dürfen sich Vermittler und Jobcenter ggf. nicht über geringe Einschaltungs- und aktiv bewirkte Integrationsquoten wundern, wenn sie ihre Kernkompetenz im Satz „Arbeitslose in Arbeit zu vermitteln" wiedererkennen. Erstens und vor allem wird damit ein wesentlicher Adressat des Vermittlungsprozesses (die Arbeitgeber) mit dessen Angebot (Arbeit) verwechselt. Weiter werden deshalb mit großer Wahrscheinlichkeit die falschen Prioritäten im Prozess gesetzt. Vorrangig werden die beruflichen Qualifikationen des Bewerbers mit dem Anforderungsprofil des Stellenangebots verglichen. Bei einem passenden Matching ist dann die Aufgabe im Wesentlichen erfüllt, es fallen dann noch administrative Abschlussarbeiten an. Da man dazu heutzutage zum „matchen" auch nicht mehr das Büro verlassen muss (das übernimmt die Software), führt dies drittens zu einer wachsenden Unkenntnis der Arbeitsweltrealitäten. Schickt man dann noch „fit gemachte" Personen los, kommt es zu den allseits bekannten Situationen, die man in Abwandlung einer bekannten Wendung als „clash of expectations" nennen könnte. Solcherart bediente Arbeitgeber und Personalchefs verzichten dann dankend auf weitere Angebote der Jobcenter. Und der „fit gemachte" Arbeitslose hat eine weitere behördlich verursachte Frustration erlebt.
Man kann diese Sprachanalysen für konstruiert halten, aber nach meiner Erfahrung zeigen sie direkt auf wesentliche Schwachstellen in einer Organisation. Solche Hypothesen müssen dann durch zusätzliche Analysen bestätigt und weiter differenziert werden. Mit ein wenig Übung jedoch kann jede Führungskraft und jeder Mitarbeiter seinen eigenen Sprachgebrauch auf solche irreführende Wendungen überprüfen. Die Lösung ist selbstverständlich nicht in der bloßen Änderung des Sprachgebrauchs zu finden. Dass hieße, das Pferd von hinten aufzuzäumen. Vielmehr stehen gerade hinter den so „dahin gesagten" Weisen häufig festverwurzelte Haltungen, Urteile und Selbstbilder.
ja