"Jugendberufsagenturen - ein neues erfolgreiches Modell?"
Hamburg im Juni 2014
Der Berufseinstieg von Jugendlichen bzw. Schulabsolventen mit geringeren Chancen auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt ist ein jahrzehntealtes „Problemfeld", bei dem es schon zahllose Politik- und Praxisansätze, Forschungen, Modellprojekte usw. gegeben hat. Ein neuer Begriff macht die Runde: die Jugendberufsagentur (JBA). Sie steht auch im Koalitionsvertrag der Großen Koalition: „ Flächendeckend einzurichtende Jugendberufsagenturen sollen die Leistungen nach den Sozialgesetzbüchern II, III und VIII für unter 25-Jährige bündeln. Datenschutz-rechtliche Klarstellungen sollen den notwendigen Informationsaustausch erleichtern." (S. 66). In diesem Kontext wird das „Hamburger Modell" erwähnt, das eine flächendeckende Einführung der JBA gerade abgeschlossen hat.Jedem, der sich einen Einblick in Strukturen und Abläufe des Übergangs von Schule in den Beruf verschaffen will, fällt auf, dass es hier mindestens drei verschiedene Gesetze, unterschiedliche Institutionen, zahllose Projekte und Initiativen, Finanzbeteiligung aller Ebenen von der EU bis zur Kommune gibt; man kann es auch kurz als heilloses Durcheinander, Nebeneinander und Gegeneinander bezeichnen. Insofern klingt die Initiative der Bundesregierung auf den ersten Blick positiv, die verschiedenen Leistungen zu „bündeln". Zweifel kommen aber auf, wenn man erkennt, dass die Gesetze und die dahinter stehenden verschiedenen Institutionen nicht verändert oder zusammengelegt werden sollen.
In Hamburg kann man das Modell der Jugendberufsagenturen in der Praxis studieren, denn hier gibt es inzwischen in allen 7 Bezirken je eine JBA. Was ist eine Jugendberufsagentur? Es werden verschiedene Ziele verfolgt, aber im Kern geht es um die räumliche Zusammenfassung verschiedener Akteure (Arbeitsagentur, Jobcenter, Sozial- und Schulbehörde, Bezirksämter) entsprechend der 3 Gesetze (SGB II, SGB III, SGB VIII) und eine entsprechende Zuordnung weiterer Träger (z. B. dritte Dienstleister). Als „Kernaufgaben" werden „Übergangsmanagement, Absicherung der Ausbildung, Angebotssteuerung" ausgewiesen, konkret geht es darum, in der räumlichen Zusammenfassung der öffentlichen Akteure mit Hilfe einer „Eingangszone" den (neudeutsch formuliert) „one-stop-shop" zu schaffen, also eine einzige Anlaufstelle. Darüber hinaus werden übergreifende Ziele wie „niemand darf verloren gehen" in den Mittelpunkt gestellt.
Wie funktioniert eine Jugendberufsagentur in der Praxis? Dazu haben sich Anfang Juni Vertreter eines erfahrenen kommunalen Jobcenters aus Niedersachen, ein langjähriger Arbeitsmarktdienstleister und con_sens zusammengesetzt, um das vorhandene Wissen zusammen zu tragen. Das erste Ergebnis: die bunte Vielfalt der Akteure, der getrennten Zuständigkeiten, Projekte und Maßnahmen, Finanzierungsquellen hat sich nicht wesentlich geändert. Allerdings kann man durchaus ein „Muster" hinter dem neuen System erkennen.
Das Versprechen der Broschüren für eine „Beratung und Hilfe aus einer Hand" in der JBA kann man gleich abhaken: der Jugendliche bzw. Schüler trifft nach wie vor auf verschiedene Akteure mit ihren jeweiligen Zuständigkeiten - das „gemeinsame Gebäude" hilft da wenig, wenn der Betreffende zunächst die Eingangszone durchlaufen muss, in der „Termine vergeben" werden (mit anschließender Wartezeit von derzeit 8 – 12 Wochen - Kenner sagen: tödlich für jeden Hilfeprozess mit Jugendlichen).
Allerdings gibt es eine wesentliche Veränderung mit der JBA: die Vermittlung in Ausbildung darf ausschließlich vom Arbeitgeberservice der Arbeitsagentur durchgeführt werden. Während bis 2013 auf die vielfältigen Träger mit ihren zahlreichen Netzwerken und Kontakten zu Arbeitgebern der Vermittlung (und anschließende Ausbildungsbegleitung) durchführen durften, ist dies neuerdings nicht mehr erwünscht. Was dies mit Bündelung der Leistungen zu tun haben soll, erschließt sich nicht. Hier geht es offensichtlich noch um etwas Anderes.
Aus der Sicht des Schülers stellt sich der Prozess heute wie folgt dar. Neben dem Lehrer (im Einzelfall unterschiedlich), dem Schulsozialarbeiter, dem Berufseinstiegs-helfer (Bundesprogramm, vorauss. bis Ende 2015) ist er mit der Berufsberatung der Arbeitsagentur konfrontiert: alle helfen mit ihrer spezifischen Kompetenz bei der Frage, wie man den Weg in den geeigneten Beruf findet. Nach der Schule bleibt ein ähnliches Spektrum: die Berufsberatung, das Jobcenter, die bezirkliche Jugendberufshilfe u.a. Es muss ja nicht schlimm sein, wenn man eine Vielfalt von Experten und Angeboten um sich herum hat – so kann man sich eine zweite oder dritte Meinung holen und lernt dabei, dass die richtige Berufswahl keine immer eindeutige Angelegenheit ist. Aber wie ist es mit dem Zugang?
Die Berufsberatung der Arbeitsagentur wird das neue Nadelöhr des Systems. Sie geht in die Schule und bietet Beratungstermine an. (Wie man hört, melden sich nur ca. 1 Drittel der Jugendlichen dort – denn es gibt ja auch Wartezeiten). Die Berufsberatung stellt fest, ob der Betreffende „eine begründete Berufswahlentscheidung" getroffen hat und ausbildungsreif ist. Er wird dann als „ratsuchend" oder „Bewerber/in" registriert. Erst dann kann im Gutscheinverfahren die Vielfalt der Maßnahmen und Methoden für eine Ausbildungsreife zum Zuge kommen. Derzeit sind die Wartezeiten lang. Man wird vermutlich bald feststellen, dass es hier einen erheblichen Personalmehrbedarf gibt - ob das schon jemand vorher im Visier hatte? Somit gibt es mit der Jugendberufsagentur – sieht man einmal vom gemeinsamen Gebäude mit Eingangszone ab - vor allem zwei wesentliche Änderungen gegenüber dem bisherigen System: die Berufsberatung bekommt eine neue Schlüsselfunktion und das Vermittlungsmonopol des Arbeitsgeberservice wird verstärkt. Ist das jetzt besonders hilfreich für benachteiligte Jugendliche, die keine Ausbildung oder Arbeit finden?
Niemand soll zurück gelassen werden! Aber wie will man das feststellen bzw. nachverfolgen? Die „unversorgten Bewerber" sind in Wirklichkeit meist eine imaginäre Größe, die keiner genau kennt, aber gern für diesen oder jenen Zweck ins Feld führt. In Hamburg wird durch eine Netzwerkstelle eine Reihe von Daten (Kontakt- und Statusdaten, Schuldaten) von allen Schülern/innen flächendeckend erfasst. Offen bleibt, wie die Verfolgung der Entwicklung der Jugendlichen datentechnisch unterstützt wird (vielleicht indirekt über Daten der Kindergeldstelle?). Noch ist niemanden eine auch datenschutzrechtlich „saubere" Lösung gelungen.
Welche Bedarfe haben Schüler bzw. Jugendliche beim Übergang von der Schule in den Beruf? Eigentlich gibt es so viele umfassende Erfahrungen, dass die wesentlichsten Punkte leicht zu benennen sind:
- Für die 2 entscheidenden Fragen „Was kann / soll ich an mir verändern, dazu lernen etc.?" und „Welche Ausbildungsmöglichkeiten gibt es?" sollte es ein vielfältiges, aber transparentes Angebot geben. Es ist kein Fehler, sich mehrfach und parallel beraten zu lassen - eine einzige Stelle wäre kontraproduktiv.
- Jugendliche lernen ständig, wollen vieles erfahren und ausprobieren, sind oft unsicher über ihre eigenen Wünsche und Fähigkeiten, verändern sich nicht binnen weniger Monate. Jedes starre Ablaufsystem hilft nicht. Diese stetigen Lernprozesse soll man ermöglichen und ggf. begleiten
- Für Hilfeprozesse und Begleitung ist die Unterstützung „aus einer Hand" im echten Sinne zweckmäßig. „Eine Hand" bedeutet eine Person, denn es geht um Vertrauen des Jugendlichen in eine andere Person genießt (die Person muss daher frei wählbar und auswechselbar sein).
- Wenn das Vertrauen die Schlüsselkategorie für Hilfe- und Begleitprozesse ist, dann dürfen Teilprozesse (Beratung, Vermittlung, Finanzunterstützung) nicht auseinander gerissen werden (auch wenn ‚im Hintergrund' arbeitsteilig unterstützt werden kann). Die 1 : 1 Vermittlung ist z. B. ein angemessener Ansatz.
Grundsätzlich sind diese Anforderungen bereits vor über zehn Jahren für die Betreuung von Arbeitslosen definiert worden (u.a. als „Fallmanagement"), die Grundsätze haben sich kaum verändert, heute bezieht man mehr die „peers" (Gleichaltrige) als entscheidende Größe mit ein; danach sind Einzelberatungen im Einzelzimmer mehr und mehr als zweifelhaft empfunden (soweit man sich nicht davon schon verabschiedet hatte).
Der Begriff „Jugendberufsagentur" kann vielfältig gefüllt, die praktische Umsetzung in Hamburg erfüllt die Anforderungen jedoch nicht, auch wenn ein „gemeinsames Gebäude" nichts Schlechtes ist. Allerdings ist dies nicht allein den Hamburgern geschuldet, sondern solange der Gesetzgeber nicht das System die verschiedenen Gesetze, die unterschiedlich zuständigen Akteure und der diversen Finanzierungs-quellen (wobei jeder nur für ‚seine' Finanzen verantwortlich ist), bleibt uns das Chaos zwischen Schule und Beruf erhalten.
Hamburg / hh